Grundlagen des Webdesigns

Von Matthias P. Würfl, zuerst veröffentlicht in der Newsgroup de.comm.infosystems.www.authoring.mics

Unterschiede der Regeln in den Medien

Schon vor den "Grundregeln des Designs" folgen die unterschiedlichen Medien ganz unterschiedlichen Regeln. Die Unterschiede zwischen Web und Print und Web und Fernsehen sind dabei groesser als zwischen Fernsehen und Print.

Bei Printobjekten (wie auch in Fernsehen) versuchen Designer richtigerweise Aufmerksamkeit zu erregen. Keine Anzeige kann Verlangen erzeugen ohne vorher Aufmerksamkeit und Interesse erzeugt zu haben. Dass nennen diese Menschen "AIDA". Attention, Interest, Desire, Action - und zwar in dieser Reihenfolge.

Die Bemühungen hierbei versteifen sich oft sehr auf Attention und Interest. Ein großer Teil der Anzeigen und Fernsehspots, Musikvideos und Plakate beschränkt sich fast ausschliesslich darauf. Das ist das, was jeder Designer eigentlich mit der Muttermilch aufgesogen hat und "lebt".

Attention und Interest im Web?

Im Web brauchen diese beiden Faktoren ueberhaupt nicht beachtet werden, denn wenn jemand http://www.trullala.de eingegeben hat, dann hat er schon ein sehr großes Maß an Interesse bekundet. Ein grosser Teil des Designer-Wissens ist jetzt eher ein Hindernis, denn der Versuch, auf einer Website Aufmerksamkeit zu erlangen wird in der Regel brutal abgestraft.

Desire in der Werbung

Kommen wir also zum dritten Punkt, den die Kommunikation erreichen will: Desire. Zwar wollen wir das in allen Medien, aufgrund der Unterschiede der Medien ist die Informationsanordnung aber sehr unterschiedlich - daher auch die verwendeten Strategien.

Ein Printobjekt (z.B. Anzeige, Plakat) von einer Seite strömt auf einmal auf den Besucher ein. Des Besuchers Aufnahme des Eindrucks wird versucht mit stilistischen Mitteln (Eyecatcher, Motive, Farben,...) zu steuern, um aktiv eine "Message" herüberzubringen. Die Verweildauer auf der Seite wird versucht zu erhöhen, Stilelemente als Eyecatcher verweisen auf die zu übermittelnde "Message".

Ein Fernsehspot o.ä. wird sequenziell abgespielt und folgt einem "Plot". Auch hier wird versucht, aktiv Inhalte zum Benutzer zu "pushen", indem eine Spannungskurve erzeugt wird, an deren Ende das Produkt präsentiert wird.

Desire im Web

Im Web ist die Struktur eine ganz andere - naemlich schlicht Web.

Niemand bringt dem Empfänger die Informationen, sondern er holt sie sich. Der größte Teil der Benutzer ist aktiv auf der Suche nach Informationen und "schlägt" sie im Web "nach", ähnlich einem Lexikon, oder er versucht sie zu erfragen, ähnlich einer Auskunft.

Hierbei hat der Benutzer die aktive Kontrolle über den Kommunikationsprozess. Wenn sich der Informationsempfänger in solch einer Situation des aktiven "Data-Mining" befindet, dann reagiert er anders als beim passiven "gucken" und ist auch anders zu beeinflussen.

Kommunikationssituation im Vergleich

Der Benutzer ist aufgeschlossener für Daten und Fakten (nach denen sucht er ja) und ist Manipulationsversuchen auf unterbewußter Ebene weniger aufgeschlossen. Während für das Waschmittel im Fernsehen nur ein Mann oder ein Kind gezeigt wird, der/das selbst wäscht[1], gibt es im Web den "Fleckenratgeber" oder etwas ähnliches.

Wenn also die Situation des Empfängers eine grundsätzlich andere ist, die "Message" eine grundsätzlich andere ist, dann muss auch das Design grundsätzlich anderen Anforderungen genügen.

Auf die genauen Unterschiede und deren Folgen einzugehen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, aber die Unterschiede reichen sicher aus, um alles, was Print-Designer über das Erzeugen von "Desire" wissen, über den Haufen zu werfen.

Technische Unterschiede

Bis hierher haben wir wohlgemerkt lediglich die unterschiedliche Kommunikationssituation besprochen. Es fehlen die technischen Unterschiede, die nicht minder grundlegend sind, ganz zu schweigen davon, daß der größte Teil des Webdesigns sich gar nicht dem Design der zu übermittelnden Information, sondern dem Design der "Bedienoberfläche" widmet - das ist wieder etwas ganz anderes.

Alles in allem ist "Print-Design zu können" für Web-Design so hinderlich wie Rabbi-sein für eine Ernennung zum Papst. Mag sein, dass es irgendwie das gleiche Thema ist, aber man kann nicht (oder nur schwer) beides können.

[1] Der Mann und das Kind waschen, damit die Frau unterbewusst die Waschmittelmarke mit "da muss ich nicht selbst waschen" verknüpft - falls das jemand noch nicht wusste...


Freddy Leitner ging auf den obigen Beitrag von Matthias P. Würfl ein und ergänzte:

Desire: AIDA versus GIULIA

Das AIDA-Prinzip ist nur ein Leitfaden für Werbung, nicht für die gesamte Unternehmenskommunikation. Ein großer Teil der Websites wollen und können nichts verkaufen, sie sind "nur" dazu da, den Marketing-Mix hinsichtlich der Kommunikationspolitik zu ergänzen.

Sehr viel angebrachter wäre für diese Websites das erheblich weniger bekannte GIULIA-Prinzip ("Glaubwürdigkeit, Information, Unverwechselbarkeit, Lesbarkeit, Interesse, Aufmerksamkeit"). Auf den ersten Blick wird deutlich, dass im Vergleich zu AIDA die Kette beinahe umgekehrt funktioniert: Erst durch ein Vertrauensverhältnis zwischen Leser/Kunde und Website, das durch eine einzigartige Position und fachkundige Aufbereitung unterstützt wird, entsteht im Endeffekt Interesse an Produkten oder Dienstleistungen. Und erst dann kann, in abgeschwächter Form, AIDA ansetzen.

Das GIULIA-Prinzip würde uns eine Vielzahl von Websites bringen, die auf die Wünsche der Kunden eingehen und einen echten Mehrwert bieten. Das AIDA-Prinzip beschert uns hingegen meistens nur Intro-Seiten, umfangreichst bebilderte Nullinformationen und einen unbefriedigten finalen Klick auf das Schließen-Icon.

Websites in den Händen von Werbern

Denn leider wird das Thema "Website" in den meisten Unternehmen der Werbung zugeordnet und die inhaltliche Ausrichtung dementsprechend Werbern überlassen. Die ihrerseits dann natürlich nicht anders können, als ihre langjährig einstudierten Verhaltensmuster auf jedes Medium zu übertragen, das sie in die Finger bekommen. Das dürfte zumindest anteilig mitverantwortlich daran sein, dass viele Websites ihr Ziel nicht erreichen. Wenn überhaupt ein Ziel definiert wurde, denn nur die wenigsten Unternehmen machen sich die Mühe, zu ermitteln, was sie mit ihrer Website erzielen wollen.

Zur Streitschrift: "Warum können Werbeagenturen keine guten WWW-Seiten schreiben?"